Die Reise

Die Welt einer inneren Kampfkunst

 

Kapitel 1 – Die Wurzeln innerer Kampfkünste

 

Unternimmt man eine kleine geschichtliche Reise in das alte China zur Zeit der streitenden Reiche, circa 475 v. Chr. – 221 v. Chr., so befindet man sich in einer rund 250 Jahre von internen Kriegen geplagten Epoche, welche von immer wiederkehrender Zerstörung und anhaltendem Leid geprägt war. Gleichzeitig gilt diese Zeit als der Höhepunkt der sogenannten Zeit der Hundert Schulen.

 

Unter dem wachsenden Verlangen nach Frieden entstanden, neben den bekannteren philosophischen Strömungen, wie dem Daoismus, dem Konfuzianismus, dem Legalismus oder auch dem Mohismus, unzählige weitere Konzeptideen, wie man den Krieg möglichst effizient dauerhaft beenden könne.
Hier sind die Wurzeln innerer Kampfkünste zu suchen. Innerhalb dieser Epoche lässt sich das Aufeinandertreffen von Philosophie und Kriegskunst, den Wurzeln innerer Kampfkunst, am deutlichsten zeigen.

 

Schon damals waren die Krieger äußerst versiert darin, mittels Strategie, Taktik und Technik, auch drohende Niederlagen in Siege zu verwandeln. Diese Kompetenz leitete sich, neben dem langjährigen Praktizieren diverser Kampftechniken, vom allgemeinen Bestreben um Effizienz ab. Man wollte nicht einfach nur gut sein, man wollte mit geringstmöglichem Aufwand bestmögliche Ergebnisse erzielen.
Will man verstehen, wie genau Kampfkunst entstanden ist, so muss die Brücke zwischen den augenscheinlichen Gegensätzen Kampf und Kunst geschlagen werden.

 

Die Menschen jener Zeit erkannten schon sehr früh, dass der Begriff Kampf weitaus mehr beinhaltet, als die gewalttätige Auseinandersetzung zweier Kontrahenten. Die tägliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kampf, sei es für Recht, gegen Krankheit, oder auch um Sorglosigkeit, wurde schon damals als der beste Lehrmeister für das Leben angesehen.

 

Schaut man jedoch allein auf das Praktizieren von Kampftechniken, wie sie für den Krieg damals gebraucht wurden, so ist der Zusammenhang mit solch einer auf Frieden gerichteten Philosophie nicht direkt offensichtlich.
Doch sind es eben jene Lektionen, welche uns im Kampftraining begegnen, die sich direkt und indirekt auf den größeren und persönlicheren Kampf beziehen lassen – das Leben.
Leben heißt kämpfen!

 

Das Leben ist in keiner Hinsicht immer leicht. Daher gilt es, sich anhand gemachter Erfahrungen, stetig vielseitig weiter zu entwickeln. Eigene Potentiale zu entfalten, zukünftige Chancen zu erkennen und sich wie anderen dadurch nicht zuletzt auch Schmerz, sowie sonstiges Leid zu ersparen. Aber wie?

 

Es sind die universell anwendbaren Lektionen, welche uns die Parallelen zwischen dem Praktizieren einer inneren Kampfkunst und dem Leben vor Augen führen.

 

Die, durch die Erkenntnis das emotionale Überreaktionen in keiner Situation helfen, diese so zielgerichtet zu lösen wie man es eigentlich möchte. Ebenso, wie diejenige von der nötigen Disziplin, ohne die man keinerlei Herausforderung ernsthaft anzugehen vermag. Oder, nicht zuletzt auch die bitteren Lektionen vom allgegenwärtigen Erfahrungsgewinn durch Fehler.
Viele im Kampftraining unausweichliche Erfahrungen zeigen gute Beispiele auf, wie das Praktizieren eines solchen Systems helfen kann, etwas für das Leben selbst zu lernen.

 

Die Kunst ist also mehr in der Aufgabe zu sehen sich während des Trainings nicht nur als Kämpfer, sondern ebenso als Mensch und Persönlichkeit zu entwickeln, anstatt allein in den nach jahrelangem intensiven Praktizieren erlangten Fähigkeiten in Schnelligkeit, Geschick und Effizienz.

 

Das worum es in allen inneren Kampfkünsten wirklich letztendlich geht, ist die Spiritualität.

 

Dasjenige Verständnis über charakterliches Wachstum, innere Stärken und der großen Verantwortung für sich und andere, gerade in Konfliktsituationen, ohne das nichts bleibt als ein sportliches Hobby.

 

Daher können Selbstschutz, körperliche Fitness oder der ästhetische Umgang mit dem Körper, wie auch mit Waffen, aus der einen oder anderen Perspektive fast als sehr nützliche positive Nebenwirkungen einer traditionellen Kampfkunstausbildung gesehen werden.

 

Es gilt schließlich nichts Geringeres, als das Leben selbst zu meistern.

 

Kapitel 1 – Fortsetzung (1)

 

Der Ansatz der Spiritualität, gleich in welcher Ausprägung, ist in der Verbindung mit der Kultivierung von Kampftechniken allerdings noch kein Garant für ein fundiertes System und erklärt aber auch nicht ausreichend welche Trainings- bzw. Kampfphilosophie eine Kampfkunst ausmacht. Diese ist schließlich innerhalb der verschiedenen Systeme keineswegs grundlegend gleich.

 

Angelehnt an die Yin Yang Lehre werden die verschiedenen Stilrichtungen schon seit jeher in innere (內家拳 – Nèijiāquán,
kurz 內家 – Nèijiā ) und äußere (外家拳Wàijiāquán, kurz 外家 – Wàijiā ) Kampfkünste eingeteilt.

 

Traditionell lagen dieser Einteilung folgende Kriterien zu Grunde:
Innere Stile, welche dem Yin entsprechen, verfolgen das Ziel, den Praktizierenden in Geschmeidigkeit und Flexibilität
zu schulen.
Hierzu wird sich während der Unterrichtspraxis vornehmlich auf Attribute wie Haltung der Wirbelsäule, Gelassenheit, Genauigkeit, äußere Entspannung und Verwurzelung konzentriert.
Die daraus entwickelte Weichheit und Variabilität dient in Kombination mit der kultivierten inneren Stabilität dazu, den Gegner auch dadurch zu verwirren das ihm kein greifbares Ziel geboten wird und seine Angriffe stets ins Leere laufen.
Diese äußere Weichheit führte schon damals zum bekannten Bild der mit Watte umhüllten Eisenstangen.
Man begegnet Härte mit Weichheit.
Ein Problem ist seit jeher jedoch, dass bis ein Praktizierender das nötige Niveau erreicht hat, häufig Jahre intensiver Praxis notwendig sind, um sich oder andere damit effektiv schützen zu können.
Doch ist das Niveau einmal erreicht, sind die Selbstschutzkonzepte und biomechanischen Prinzipien einer inneren Kampfkunst bis in das hohe Alter anwendbar.

 

Äußere Stile, welche dem Yang entsprechen, verfolgen das Ziel, den Praktizierenden in Explosivität und Kraft zu schulen.
Hierzu wird sich während der Unterrichtspraxis vornehmlich auf Attribute wie Schnelligkeit, Unbeugsamkeit, harte muskuläre Arbeit, Körperspannung und verschiedene Schlag-Trittkombinationen konzentriert.
Die daraus entwickelte Explosivität und Kraft dient in Kombination mit der kultivierten inneren Entschlossenheit dazu, den Gegner konsequent mit harten Angriffen bis zum Sieg zu bedrängen, welcher schnell durch eine Kampfunfähigkeit des Gegners erreicht
werden soll.
Diese äußere Härte war es, die zum bekannten europäischen Bild des Kriegers mit der harten Schale führte.
Man begegnet Härte mit Härte.
Das Problem ist seit jeher jedoch, dass bedingt durch das harte Training, häufig Verletzungen oder gar körperliche Defizite entstehen. Allerdings wird bei diesen Systemen das Niveau zur Anwendung dieser Selbstschutzkonzepte und biomechanischen Prinzipien relativ schnell erreicht.

 

Gemäß dem Grundsatz, dass kein Yin ohne Yang und kein Yang ohne Yin sein kann, begann man vor circa 1.000 Jahren damit, harte und weiche Stilelemente zu verbinden. Dabei ging es weniger darum, diverse Extreme zu vermeiden, als primär um die Vorteilnutzung
beider Stilrichtungen.
Einmal begonnen, dauerte es nicht lang, bis sich auch scheinbar gegensätzliche Konzepte, nicht länger widersprachen sondern begannen sich zu ergänzen.
Auf diese Weise entstanden einige, wenn nicht sogar viele neue Systeme, die teils bis heute existieren. So auch das Konzept der weichen, fast nicht wahrnehmbaren Aufnahmen, welche von harten explosiven Schlägen begleitet werden.
Ein großes Ziel solch einer Neuentwicklung war es auch einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen.Yin wie Yang sollten in nahezu gleichen Teilen vorhanden sein und es dem Anwender erlauben schnell die nötigen Selbstschutzkonzepte und biomechanischen Prinzipien zu erlernen und gleichzeitig bis ins hohe Alter anwenden zu können.

 

Doch auch die geistige und charakterliche Entwicklung der Praktizierenden profitierte von den umfangreichen Verknüpfungen innerhalb dieser neuen Stilrichtungen nachhaltig.
Verbindet sich innere Stabilität mit Entschlossenheit und äußere Entspannung mit Schnelligkeit, so ergibt sich jenes vollständige, ausgewogene und ausgeglichene Bild eines Meisters, wie es schon der bekannte Konfuzius vor mehr als 2.000 Jahren gezeichnet hat.
Es ist jene Position in der Mitte, die es solch einem Meister erlaubt, nach belieben in die Extremen zu greifen, so es situationsbedingt angemessen ist.

 

Denn nur wer die Wahl hat, hat die Freiheit zu entscheiden!

 

Fortsetzung folgt…

 

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